Sütterlin

Im Jahre 1911 erhielt Ludwig Sütterlin vom Preußischen Kultusministerium unter Leitung von Prof. Dr. Pallat den Auftrag, eine neue moderne Schreibschrift zu entwickeln, die den Anforderungen der sich veränderten Bildungspolitik des preußischen Staates gerecht wurde." Zudem hatten wir ja kein deutsches Normalalphabet, sondern jede Gemeinde und Stadt, jeder Bezirk und jedes Land hatte einen eigenen, begutachteten Schriftduktus. Da war nur die betreffende Norm richtig, die wurde vorgemacht, die mußte nachgemacht werden. Nicht genug; verschiedentlich verstieg man sich dazu, in punktierten Linien den Neigungswinkel anzugeben. Das Kind sollte nun in dieser Zwangsjacke sein Können zeigen, wo es überall doch gehemmt war und keinen Strich machen konnte, ohne nicht der Vorschrift entgegenzuarbeiten." So klagten die beiden Pädagogen Busch und Stoltefuß in Ihrem Buch " Die Sütterlin=Schreibweise " in der Bücherreihe "Der Bücherschatz des Lehrers"auf Seite 4 im Jahre 1925. Während ab 1915 diese Sütterlinschrift  Stück für Stück an den preußischen Schulen eingeführt wurde, geschah das auch außerhalb Preußens ab 1924/25, indem diese neue Schreibschrift in den deutschen Schulen zur verbindliche Schrift erklärt wurde. Die große methodisch-didaktische Herausforderung für die Lehrer und Schüler für den nunmehr anders zu gestalteten Schreibunterricht manifestierte sich in der Aufgabe: " Die Schule hat als eine der vornehmsten Aufgaben die deutsche Sprache dem Kinde lieb und wert zu machen; dann muß sie aber ebenso deutsche Schrift dem Kinde als Wertobjekt mitgeben." (ebenda S.8) Der bishier verbindliche Normalduktus mit den behördlich vorgeschriebenen Liniaturen in den Heften und die empfohlenen Spitzfedern wurde abgelöst durch die Bandzug-/Gleichzug-/Schnurzug-/Redisfeder. Eine weitere drastische Veränderung betraf die Lineaturverhälnisse der Sütterlinschrift. Die übergroßen Ober- und Unterlängen der bisherigen Kurrentschrift sollten einerseits zur Unterscheidung im Sinne einer besseren Lesbarkeit dienen, andererseits als schmückendes Element bis hin zur Virtuosität des Flammenstrichs mit seinen Schatten- und Haarlinien. Nunmehr steht die bedeutungstragende Mittellänge (-höhe) im gleichen Verhältnis zur Ober- und Unterlänge von 1:1:1. Die früher stark schräggestellten Buchstaben stehen in ihrer Gesamtheit nunmehr senkrecht auf der Grundlinie. Hergeleitet und begründet wurde das für die Schreibanfänger aus der Physionomie der Fingerschrift. Bis zur dritten Klasse war die Anwendung dieser neuen Schrift für Lehrer und Schüler strengster Reglementierung unterworfen - bei rel. weitreichenden methodisch-didaktischer Freizügigkeit seitens der Entwicklung der Schreibfertigkeiten durch die Lehrerschaft. Danach wurde eine leichte nach rechts gerichtete Schrägstellung geduldet, um einen flüssigen und persönlichen Schreibstil entwickeln zu können.

So ist es dadurch nicht verwunderlich, daß es eine "reine" Sütterlinhandschrift gar nicht gibt. Lediglich per Rechner oder als kalligraphische Gestaltung wird es möglich gemacht, diese Schrift normiert nach Ludwig Sütterlin abzubilden.

Beenden möchte ich die Entwicklung der Schrift hin zur "Sütterlinschrift" mit den nachstehenden Sätzen aus dem mehrfach erwähnten Buch: " Wenn die Schrift auch im Laufe der Jahrtausende gestaltet und umgestaltet worden ist, so hat doch niemals ein Volk als Ganzes daran gearbeitet, sondern eine kleine Minderheit ist tätig gewesen, die anderen haben nur das Gewordene genommen, weil es  Gefallen fand und haben es überliefert......  Wir können uns die Möglichkeit, unsere deutsche Schrift preiszugeben, nur unter der Voraussetzung denken, daß Deutschlands Kultur im Wettstreit der Völker sich als die schwächere erwiesen habe. Unsere Schrift ist doch zweifellos ein Stück unseres nationalen Kulturbesitzes, und nur absteigende Völker würden sich dessen entäußern." (ebenda S.62)  

Ergänzungen siehe auch meinen Link Ludwig Sütterlin.

Euer kds