deutsche Schreibschriften

Ohne den Phöniziern den Rang ihrer weltgeschichtlichen Erfindung abzusprechen, nämlich
die Umsetzung von Sprachlauten in altägyptische Schriftzeichen als Buchstaben
erstmalig angewendet zu haben, beginne ich in der vorstehenden Schriftgeschichte bei der ordnenden Hand Karls des Großen (2.4.742 – 28.1.814), dem König der Franken seit 768 und im Jahre 800 in Rom zum Kaiser gekrönt, dem ersten einenden "Gründungsvater des Deutschen Reiches".

Damit dem geneigten Leser die geschichtliche Schriftentwicklung klar(rer) wird, ist eines von Bedeutung:
Erst durch die Einsicht in die ökonomischen, gesellschaftlichen und kulturellen Verhältnisse in der jeweiligen zeitlichen Betrachtungsebene, entwickelt der Betrachter das richtige Verständnis für die sich verändernden Formen und Schreibstile des Kulturträgers Schrift.

Die Vielfalt der ersten Schreibunterlagen, wie Ton- und Wachstafeln, Papyrus und Pergament, sowie die verschiedenen Schreibgeräte, wie Griffel, Schreibstengel, Schreibspatel und Rohrfedern, das alles führte ausgehend von der steifen Monumentalschrift der Griechen und Römer – der römischen Kapitalschrift – zu den in Buch(hand)schriften angewendeten Unzialen und Halbunzialen.
Parallel dazu entwickelten sich die jeweiligen Schreibschriften entsprechend der angewendeten Schreibgeräte und Schreibunterlagen als  (römische) Kursivschriften sowie ihre regionalen und „schreibeigenen“ Ausprägungen.

Das geistige Zentrum des Abendlandes war im 8.Jahrhundert der Aachener Hof während der Regierungszeit von Karl dem Großen, der an dieser Stätte nach antikem Vorbild Wissenschaft, Kunst und Bildung stark gefördert hat. Die durch ihn bewirkte „Karolingische Renaissance“ hatte in den Domschulen , Klöstern und Klosterbibliotheken weitgreifende Umwälzungen und Veränderungen zur Folge.
Diese betraf die christliche Lehre und Sitten, die Schrift und Sprache und die Verfeinerung des Lateinischen für die Sprache der Gelehrten. Nicht zu vergessen ist dabei auch sein Bemühen, mit Hilfe der gebildeten Schreibmönche in den bedeutsamen Klosterbibliotheken, die bestehenden schriftlichen Aufzeichnungen der Literatur, Kunst und Wissenschaft der Griechen und Römer in die deutsche Sprache zu übersetzen.

Mit der „Admonito Generalis“ von 789 erfuhr auch die Ausprägung einer einheitlichen Volkssprache durch die Verkündigung des Christentums in der Volkssprache eine bedeutsame Entwicklung. Innerhalb dieses „Bildungsreformprogrammes“ durch K.d.Gr. und der zugleich regen Übersetzungstätigkeit der antiken Schriften in den Klöstern und Domschulen, wirkte sich diese Arbeit sehr bedeutsam auf die Herausbildung der althochdeutschen Literatur- und Schriftsprache aus. Die nach ihm benannte „Karolingische Minuskel“ war für den gesamten europäischen Raum die verbindliche Schrift in dieser Zeit.
Darum bargen die Bibliotheken in den Klöstern und Domschulen den größten Wissensschatz der mittelalterlichen Gegenwart mit ihren handgeschriebenen Schriftrollen und Büchern (Codices), für die ein Mönch mitunter mehr als eine halbe Lebenszeit in den Schreibstuben - neben seinen Ordenspflichten - verbrachte.

Aus der vom 8. bis ins 13. Jahrhundert als Buchschrift in althochdeutscher und lateinischer Schriftsprache verwendeten Karoligischen Minuskel entwickelte sich unter der nachfolgenden Herrschaft der Ottonen der Dualismus von „gotischer“ und „humanistischer Minuskel“.
In diesen Schriften finden wir die Urtypen unserer heutigen lateinischen Kleinbuchstaben. Während sich die humanistische Minuskel entwicklungsgeschichtlich den Versalien der römischen Kapitalis näherte, wurde sie zugleich (fast) ausschließlich für lateinische Texte verwendet. Sie entwickelte sich als Schriftsprache der Kirche, der Wissenschaft und Bildung hin zur lateinischen Schrift. 
Demgegenüber ist aus kursivtypischer Schrägstellung der Buchstaben aus der gotischen Minuskel über die
gotische Kursive“, „Rotunda“  und  „Bastarda“  die deutsche "Kurrent" und später die deutsche Schreibschrift entstanden.